Die Fülle: Vier Erlöser
Serie: Gott mitten im Chaos | Bibeltext: Ruth 4,1-22
Es ist erstaunlich, wie unser Gehirn Kindheitserinnerungen speichert und sie scheinbar zufällig nach all diesen Jahren plötzlich wieder ins Gedächtnis ruft.
Als Kind durfte ich nie in den Zirkus. Mein Vater konnte mir zwar nie genau erklären wieso, aber irgendwie hatte es damit zu tun, dass er als Kind auch nicht in den Zirkus durfte. Wenn ich dann nachbohrte, dann kam immer wieder den Zauberer, obwohl er zugeben musste, dass es ja nur Tricks seien, die da gemacht würden.
Einmal als ich in der Sek war, kam ein Zirkus und der stellte sein Zelt neben unserem Schulhaus auf. Alle Schüler bekamen vergünstigte Tickets, und weil ich wusste, dass mein Vater nein sagen würde, und ich alt genug war, ging in dann mit meinen Kollegen in den Zirkus. Und tatsächlich kam auch ein Zauberer vor.
Eine Frau lag in eine Holzschachtel, dann wurde ein Vorhang gezogen und dann wurden verschiedene Platten reingeschoben, keine Messer, sondern einfach Platten. Die Symbolik dahinter war, dass die Frau zerschnitten würde, doch zu unser aller erstaunen am Schluss kam sie wieder ganz aus der Holzschachtel heraus.
Dann gab es noch den Trick mit der Taube aus dem Hut. Also die klassischen Zaubertricks. Doch speziell wurde es, als dann plötzlich noch mehr Tauben aus dem Hut kamen. Da gab es dann noch ein Wow von den Zuschauern, die meisten natürlich Kinder. War schon eindrücklich und natürlich war das Bild davon mit den Tauben, die danach herumfolgen fantastisch.
Die Geschichte von Ruth und Noomi ist sehr speziell, und es kommt einem vor, wie wenn es in einen speziellen Zauber eingehüllt ist, wie damals im Zirkus.
Das Buch Ruth beginnt in Kapitel 1 mit einer Leere. Dann in Kapitel 2 kommt die Suche und im 3 die Ruhe. Beim Kapitel 4 passt «die Fülle». Das Schlüsselwort im Kapitel 4 ist der «Löser», der 5x vorkommt. Dieses Wort hat im Hebräischen die gleiche Wurzel. Wie viele Löser kommen da vor? Wenn man so schnell zählt kommt man schnell auf zwei, doch wenn man genauer hinschaut, dann kommt da noch ein dritter zum Vorschein… und zu meiner Überraschung dann noch ein vierter. Darum der Titel «Die Fülle: Vier Erlöser». Wir finden hier mehr Erlösung, als wir erwarten würden. Das ist das Markenzeichen der Bibel, besser als jeder Zaubertrick.
Die DNA der Erlösung
Zuerst ein paar Hintergrundinformationen. Israel hatte Erlösung in seiner DNA. Die erste Erlösung geht zurück auf Mose, der mit Gottes Hilfe Israel aus der Sklaverei führte. Gott teilte dort das Rote Meer und Israel entkam so dem Pharao und seiner Armee. Dort nennt das Volk Israel Gott zum ersten Mal «Erlöser». (Ex 15,11-13; Ps 78,35; Sprüche 23,11; Jesaja 47,4; 63,16; usw.) Gott hatte sie aus der Sklaverei erlöst, und so wurde dieses Thema in die DNA von Israel eingepflanzt. Doch Gott hat ihnen dann aufgezeigt, wie sie selbst lernen können Erlöser für andere zu werden:
- Wenn eine Familie in Israel in die Armut rutschte, und deshalb ihr Land verkaufen musste, dann war wurde der nächste männliche Verwandte zum «Verwandten-Erlöser». Er hatte die Aufgabe diese Familie aus der Armut zu retten, indem er ihr Land zurückkaufte und so schaut, dass das Erbe in der Familie bleibt. (Lev 25,23-34).
- Falls sie so arm wurden, dass sie in die Sklaverei hätten verkauft werden müssen, dann musste ein reicher Verwandter sie retten, indem er sie loskaufte. Auch das war Erlösung (Lev 25,47-55).
- Und schlussendlich, wenn ein Mann starb und seine Witwe ohne Kinder war (genau die Situation von Ruth und Noomi), dann musste ihr nächster männlicher Verwandter einspringen und die Witwe heiraten und ihr ermöglichen, Kinder zu bekommen, damit sie das Vermögen von ihrem Vater erben und in der Familie halten konnten – eine dritte Art der Erlösung (Deut 25,5-10).
In einer solchen Ehe ging es dann nicht immer um romantische Liebe, sondern damit wurde das Überleben der Familien gesichert und das Eigentum blieb in der Familie. Bei Boas war das anders; er liebte Ruth und wollte sie heiraten. Doch zuerst ist da noch Noomi, die ein Anteil an einem Feld besass (V3). Weil sie so arm war, war sie gezwungen diesen zu verkaufen, damit sie überleben kann. Und so kommen wir zum ersten Erlöser…
Der erste Erlöser (V1-13)
In Vers 1 geht Boas zum Stadttor und sitzt dort. Das Stadttor war ein wichtiger Ort. Dort trafen sich die Dorfältesten, wenn es Beschwerden gab, und wenn sie Streit schlichten mussten. Beim Stadttor wurden Geschäfte gemacht, besonders wenn sie eine gewisse Wichtigkeit hatten, z.B. wenn es Zeugen brauchte. Boas erwartete wahrscheinlich, dass seine Angelegenheiten mit Ruth und Noomi an diesem Tage dort besprochen würde. Und tatsächlich, kaum sitzt er dort, kommt jemand vorbei, der ihm weiterhelfen kann. Es ist der Typ, der einfach «der Löser» benamst wird (V1). Da haben wir also den ersten Erlöser. Jetzt wird es spannend. Boas hatte Ruth schon im Kapitel vorhergesagt (3,12), dass dieser Mann ihr und Noomi «näher verwandt». Er hat also Vorrang, wenn er sich denn auch darauf einlässt. Jetzt hängt alles davon ab, wie sich dieser Typ entscheidet. Boas hätte diesen Verwandten auch auf die krumme Tour aus dem Spiel nehmen können, doch das ist nicht die Art von Boas. Er ist ein Ehrenmann, und wird das sauber lösen. Und da ist das Stadttor der richtige Ort. Boas erklärt jetzt in Vers 3+4 diese Situation:
Und er sprach zum Löser: Noomi, die von Moabs zurückgekommen ist, verkauft den Feldanteil, der unserem Bruder Elimelech gehörte. Lass uns das da beim Stadttor lösen: Kauf das Stückland da in der Gegenwart von den Ältesten. Wenn du lösen willst, dann tu es, und wenn nicht, lass es mich wissen, denn ausser dir gibt es niemanden. Nach dir komme nur noch ich. Und er sagte: Ich werde lösen. (V3+4 - vereinfacht)
Jetzt ist der Fall erledigt. Der erste Erlöser kauft Noomi ihr Feldanteil, damit es in der Familie bleibt. Doch für Boas ist das eine schlechte Nachricht, denn es geht um mehr als nur Land. Darum kommt jetzt der kritische Punkt. Was ist mit Ruth?
Und Boas sprach: An dem Tag, wo du das Feld von Noomi kaufst, gehört dir auch die Rut, der Moabiterin, der Frau des Verstorbenen, damit das Erbe weitergeht. (V5 – vereinfacht)
Da ist also noch eine Frau, und zwar eine junge Frau! Doch Boas hat Glück, der erste Erlöser ist kein romantischer Typ. Ihm geht es ums Geld. Wenn er den Deal durchzieht, muss er das Feld kaufen und Ruth heiraten, und das ist richtig teuer. Denn er muss dann noch für mehr Personen sorgen – und ups da ist noch die Schwiegermutter. Das kostet also unter dem Strich mehr als es bringt. Was er mit dem Feld verdient, kann er gleich wieder für die Unterstützung ausbgeben. Und wenn Ruth Kinder haben wird – und das ist ja die Idee hinter diesem Modell – dann gibt es noch mehr Erben. Wenn er das also durchrechnet, dann legt er bei diesem Geschäft drauf; und am Schluss bekommen seine eigenen Kinder weniger Erbe. Deshalb lehnt er ab und fädelt sich da raus, und sagt "Ich kann nicht es lösen, sonst nehmen meine Erben schaden. Du kannst das Feldteil haben, Boas.« (V6 – vereinfacht).
Ich weiss nicht… Konnte Boas cool bleiben? Ich glaube, er ist vor Freude fast geplatzt. Das war das, was er sich gewünscht hatte! Er hat es noch clever gemacht, und er war auch ehrlich. Wenn das mit Ruth klappen sollte, dann wollte er das auf saubere Art lösen, damit sie mit gutem Gewissen heiraten können. Und dann steht es in Vers 13 «So heiratete Boas Rut». Doch mehr noch, Ruth wurde schwanger (V13b). Damals war eine Ehe gesegnet, wenn es Kinder gab, vor allem, wenn es einen Sohn gab. Alle, die damals beim Stadttor versammelt waren, und die Ältesten, hatten sie mit Glückwünschen überhäuft und für sie gebetet (V11). Der Rückzug vom ersten Erlöser macht also Platz für den zweiten.
Der zweite Erlöser
Boas ist also der zweite Erlöser, und ist ganz anders als der erste. Der erste Erlöser wollte keine Verantwortung übernehmen, Boas schon. Der erste Erlöser schaute darauf, was es ihm bringen würde; Boas handelte aus Liebe. Der erste Erlöser war ehrenlos, der zweite ehrwürdig. Der erste war nur ein scheinbarer Erlöser, der zweite war der echte. Aber Achtung… da kommt noch mehr!
Der dritte Erlöser (V14–16)
Ruth gebärt ein Baby, und jetzt hat Noomi hat einen Enkel! Und wo sie ihn in ihre Arme nimmt, da sprechen die Frauen von Bethlehem einen Segen über sie aus.
[Und die Frauen sprachen zu Noomi:] Gelobt sei der HERR, der es dir heute an einem Löser nicht hat fehlen lassen; und sein Name soll ausgerufen werden in Israel. 15 Und er wird dir Lebenskraft zurückgeben und im hohen Alter für dich sorgen. Denn deine Schwiegertochter, die dich liebt, hat ihn geboren, sie, die für dich mehr wert ist als sieben Söhne. (V14+15)
Habt ihr es bemerkt? Der Bub, den Noomi da in den Armen hält, ist auch ein Erlöser! Er ist ein Geschenk von Ruth, die ihrer Schwiegermutter treu blieb, trotz Verlust und Depression. Es ist auch ein Geschenk von Boas, der sich ehrwürdig verhielt, und Ruth zur Frau nahm. Doch in erster Linie ist das Kind ein Geschenk von Gott, als Antwort auf die Bitterkeit und Leere von Noomi. Noomi ist nicht so alt, wie man vielleicht meinen könnte. Dieses Kind wird Noomi nochmals Lebenssaft geben und sie im hohen Alter unterstützen. Das heisst, dieses Baby wird erwachsen werden und ihr ein neues Leben schenken. Und habt ihr es gemerkt? Dieser dritte Erlöser wurde in Bethlehem geboren, und das gibt dieser Geschichte nochmals eine Zukunft, und darum geht es am Schluss vom Buch.
Der vierte Erlöser (Vers 17–22)
Vers 17: Und die Nachbarinnen gaben ihm einen Namen und sagten: Der Noomi wurde ein Sohn geboren. Und sie gaben ihm den Namen Obed. Er ist der Vater von Isai, dem Vater von David. (V17)
Das Baby, das da auf dem Schoss von Noomi liegt (V16), und von den Frauen von Bethlehem den Namen bekam, ist ein Hinweis, dass da etwas Grösseres im Tun ist – etwas, dass nicht einmal die Eltern bemerkt hatten. Das Kind hat eine grössere Bedeutung als nur das Kind von Noomi und Ruth. Das Kind, da in Bethlehem, wird zum Grossvater von König David! Und das ist erst der Anfang. Die königliche Linie von David geht bis in Neue Testament und so landen Ruth und Boas im Stammbaum von Jesus in Matthäus 1,4-6. Was da in Bethlehem zur Zeit der Richter passierte (1,1) ist eigentlich nur ein Puzzleteil von etwas Grösserem. Das Kind, wo in Matthäus 1 geboren wird, war nämlich auch ein Erlöser. „Dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden“ (Matt 1,21). In Markus 10,45 heisst es, „[er] ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ Und da geht es nicht nur um die Erlösung von Israel, nein, die Erlösung gilt für alle Menschen aus allen Nationen. Bei der Geburt von Jesus kamen ja auch die Sternendeuter aus dem Osten. Das Volk Israel wird also durch Jesus erweitert, und die Erlösung die Jesus brachte, gilt für alle.
Dass Ruth, die Moabiterin und Ausländerin, zur Zeit der Richter in Israel aufgenommen wurde, war ein Lichtblick für die Erlösung, die uns schlussendlich Jesus brachte. Und von was hat uns Jesus erlöst? Von unseren Sünden, die unsere Beziehung mit Gott kaputt gemacht haben, von der Leere, von einem Leben ohne Gott und vor dem Gericht, das wir eigentlich verdient haben, weil wir Gott abgelehnt hatten. Und wie hat er das gemacht? Durch seinen Tod für uns am Kreuz. Petrus sagt es so: «Ihr wurdet erlöst aus einem Leben ohne Inhalt, durch das kostbare Blut Christi“ (1. Pet 1,18+19 – vereinfacht). Jesus ist also der vierte Erlöser und der grösste Erlöser von allen.
Er ist der Erlöser
Wenn wir dem Buch Ruth einen Titel geben müssten, dann wäre das Lied «Es gibt einen Erlöser» von Keith Green ein guter Kandidat. Ich mag mich noch erinnern als kleiner Junge als im Hallenstadion ein Chor mit 200 Sängern solche Lieder sang. Das Lied «Er ist der Erlöser» würde für Kapitel 4 passen.
Angefangen hatte alles mit einer Depression, danach kam die Suche, dann die Ruhe und jetzt in Kapitel 4 die Fülle, wo im Neuen Testament mit Jesus nochmals eine andere Dimension bekam – die wirkliche Fülle der Erlösung in Christus. Doch angefangen hatte es im Buch Ruth mit dieser Erlöser-Liebe. Doch zuerst kam ein Erlöser, der nicht mitgemacht hat, weil keine Liebe da war, und dann kam Boas als Erlöser mit Liebe. Und dann kommt noch Obed, der nochmals ein Licht am Himmel war und auf König David und Jesus als Geschenk für uns alle hinweist.
Gäll, wir haben gemeint, es ginge nur um Boas, doch plötzlich ist da mehr – fast wie ein Taube, die aus einem Hut gezaubert wird. Doch das ist keine Zauberei, da ist Gott am Werk, der alles zum Besten wendet, ganz nach Römer 8,28: «Denen die Gott lieben, dient alles zum Besten». Und plötzlich finden wir uns wieder in der grösseren Geschichte, wo alles zusammenkommt und Gott am Schluss verherrlicht wird.
Gott mitten im Chaos
Ich habe in dieser Predigtserie die beiden Bücher Richter und Ruth zusammengenommen. Nach dem Chaos vom Richter kehrt nun in Bethlehem Ruhe ein. Im Buch Richter hatten wir eine Abwärtsspirale, die fast ins Bodenlose ging, und da im Buch Ruth endet das mit König David. Wir können nicht anders als hier die souveräne Hand Gottes erkennen, der sein Volk trotz wiederholter Sünde nicht aufgibt. Die Bibel fängt an mit «Und die Erde war wüst und öde, und Finsternis lag auf der Urflut“ (Gen 1,2a). Und Gott schafft aus dem Chaos Ordnung, Leben und Schönheit. Das wird dann zum Muster der Bibel, wo der Mensch durch Sünde immer wieder Chaos veranstaltet, und Gott macht mit dem Menschen durch die Bibel einen Weg, und am Schluss im letzten Kapitel der Bibel finden wir das Resultat: Ein neuer Himmel und eine neue Erde, wo es kein Chaos mehr gibt. Und der Schlüssel dazu ist ein Erlöser, der in Bethlehem geboren wurde.
Es gibt einen Erlöser! Egal wie tief der Abgrund, egal wie hoch der Berg, der vor mir lieg. Wenn wir wieder mal vom Chaos um uns herum verzweifelt sind, dann dürfen wir Hoffnung schöpfen, weil in Bethlehem ein Kind geboren wurde. Und in das Dunkel kam die Erlöser-Liebe, die den Sieg errungen. Was für ein Wunder, über das wir nur staunen können, …und singen. Und deshalb singen wir jetzt das Lied «Jesus meine Hoffnung lebt», bevor wir gemeinsam das Abendmahl feiern.
4 Siehe Deuteronomy 25,7-10