Finden: Das Versprechen der Ruhe
Serie: Gott mitten im Chaos | Bibeltext: Ruth 3, 1-18
Finden: Das Versprechen der Ruhe - Rut 3,1-18
Ruhe ist in der Bibel ein zentrales Thema, und das finden wir in Kapitel 3 vom Buch Ruth wieder.
Noomi sagt in Vers 1 zu Ruth: «Meine Tochter, sollte ich dir nicht einen Ruheplatz suchen, damit es dir gut geht?“ (V1 – ELB). Und im letzten Vers vom Kapitel heisst es, dass Boas «nicht ruhen wird“, bis er „die Sache schon heute zu Ende geführt“ (V18). Damit Ruth und Noomi zur Ruhe kommen können, braucht es noch ein Geschenk Gottes. ER steht souverän über dieser Geschichte (siehe auch Römer 8,28).
Ein schlauer Plan (V1-5)
Als Noomi hört, dass Ruth Boas kennengelernt hat, ist sie begeistert und macht schnell ein Plan, um alles Menschenmögliche in Bewegung zu setzen. Die "Ruhe", die Noomi für Ruth sucht, ist eine Ehe, ein Heim und die Aussicht auf Kinder. All das würde ihr helfen, in Israel anzukommen – und gleichzeitig würde es den Stand von Noomi wiederherstellen. Alles, was bis jetzt geschah ist eigentlich von Menschen gesteuert, aber Noomi hat schon im Kapitel 2,20 erkennt, dass da in dieser Geschichte irgendwo Gottes Segen vergraben ist. Da hofft man natürlich, dass der Segen weitergehen wird. Ich höre immer wieder Menschen, die fatalistisch sagen, «Da können wir nun noch beten». Das ist richtig und gut, aber wie wir von Ruth und Noomi lernen, ist, das ist nicht alles.
Noomi sieht in der Ernte eine Chance, und zur Ernte gehört das Worfeln und das läuft auf einem Gemeinschaftsplatz neben dem Dorf. In der deutschen Übersetzung wird das mit Tenn wiedergegeben, weil das kennen wir von unseren Bauernhöfen in der Schweiz. Auf diesem Gemeinschaftsplatz wird bis tief in die Nacht gesiebt, und die Arbeiter schlafen dann auch dort, damit sie am nächsten morgenfrüh gleich wieder bereit sind. Noomi kennt den Boas, und weiss, dass er bei seinen Leuten bleiben wird (V2). Eine perfekte Gelegenheit für Ruth, im Schutz der Dunkelheit an Boas heranzukommen, hoffentlich ohne, dass es jemand merkt. Es gibt aber auch Gefahren. Boas hatte seinen Männern schon mal befohlen Ruth nicht «anzutasten» (2,9). Diese Gefahr ist da sicher auch da, denn es sind ja die gleichen Männer. Gleichzeitig besteht aber auch die Gefahr, dass es einen Skandal geben könnte. Denn im Tenn versuchten sich oft auch zwielichtige Frauen einzuschleichen (Hosea 9,1). Noomi geht also ein Risiko ein, wenn sie Ruth vorschlägt, Boas im Tenn zu treffen. Doch Ruth ist jung und Boas hatte schon bald einmal ein Auge auf die Ruth gehabt, und dann ist da noch Gott.
Ihr Plan ist schlau. Ruth soll baden, sich salben – wahrscheinlich mit Parfüm – und einen Mantel anziehen, um sich zu wärmen – sie schläft wahrscheinlich draussen (V3a).[1] Anders gesagt, sie macht sich als Frau attraktiv. So wie sie den Boas kennt, passt das zu ihm. Gäll, sie denkt praktisch und hat einen guten Charakter. Die Ruth soll zum Tenn gehen und die Stelle finden, wo Boas liegt, seine Füsse aufdecken, hinlegen und warten, bis er sich bewegt und ihr sagt, was sie tun soll (V3b+4). Mutig! Weil, sie lädt damit Boas zur Liebe ein. Doch so wie Boas die Ruth bis jetzt kennengelernt hat, wäre es zu viel zu sagen, dass sie ihn hier plump verführen möchte. Das wäre heikel. Es geht da nicht um einen Quickie, sondern Ruth sucht etwas Festes, eine Zukunft in einer Ehe. Wenn sie da die Füsse von Boas aufdeckt, dann möchte sie, dass er sie während den kühlen Morgenstunden bemerkt. Das ist eine heikle Aktion, und Manipulation hat da keinen Platz. Noomi und Ruth haben diesen Plan zusammen besprochen, doch es war zuerst einmal Noomis Plan. Sie denkt da scharf und ist entschlossen, das Beste aus der Chance zu machen, wo Gott ihr präsentiert. Sie wünscht sich für Ruth einen Ort der «Ruhe» (V1). Entschlossen wie eh und je, macht Ruth genau das, was Noomi ihr sagt (V5).
Ein geflüstertes Gespräch (V6-14)
Jetzt geht Ruth zum Tenn (V6) und dort läuft es wie am Schnürchen; so wie die beiden Frauen es besprochen haben. Um Mitternacht erwacht Boas, während seine erschöpften Männer im Tiefschlaf sind (V8). Dann heisst es, dass Boas «erschrak und um sich griff». Ups! Das ist ein heikler Moment. Da liegt eine Frau bei seinen Füssen (V8)! Wenn er jetzt aus Panik schreit, ist alles vorbei. Doch Boas reagiert gefasst, und ich glaube Gott hatte da auch noch seine Finger im Spiel. Er flüstert zu ihr «Wer bist du?» (V9a). Diese Frage geht tief. Die beiden sind sich ja am Tag vorher schon begegnet, und Boas war von Ruth beeindruckt. Wahrscheinlich musste er seit da ein paar Mal an Ruth denken. Hat er beim Einschlafen bereits an Ruth gedacht? Wer war sein erster Gedanke, als er erwachte? Da gab es wahrscheinlich keine bessere Antwort als, «Ich bin Rut, deine Magd» (V9b). Was für eine schöne Überraschung! Wenn sie ihm jetzt zu flüstert, dann ist das genau das, was er sich gewünscht hatte.
So hatten sich das Noomi und Ruth vorgestellt. Jetzt redet Ruth zuerst, und das braucht viel Mut: «Breite den Saum deines Gewands über deine Magd, denn du bist ein Löser“ (V9c). Ruth spielt damit auf das an, was Boas beim letzten Treffen zu ihr gesagt hat: "Der HERR vergelte dir dein Tun, und voller Lohn soll dir zuteil werden vom HERRN, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, um Zuflucht zu finden unter seinen Flügeln." (2,12). Sie gibt ihm da die Möglichkeit, seine frommen Worte in die Tat umzusetzen. Er soll das Werkzeug für den Segen werden. In Kapitel 2 hatte sie noch gesagt, dass sie Ausländerin ist, und dass sie nicht zu Mitarbeitern von Boas gehört. Da sagt sie einfach, «Ich bin die Ruth, deine Magd» (V9) und macht klar, um was es geht. Sie sagt ihm «du bist ein Löser». Ein Löser ist jemanden, der verpflichtet ist, einem Verwandten in Not zu helfen (V9).
Boas passt das, und er geht darauf ein. Er bestätigt den Segen von Kapitel 2 (V10a), und spricht sie als «Tochter» (V10a, vgl. 2,8). Boas ist beeindruckt von ihr und sagt ihr nochmals, dass sie eine «gute» Frau ist: «Du hast jetzt noch schöner als zuvor gezeigt, wie gut du bist, da du den jungen Kerlen, ob arm oder reich, nicht nachläufst.“ (V10). Das letzte Mal war er über ihre Treue zu ihrer Schwiegermutter beeindruckt (2,11). Und da im Tenn macht sie ihm sogar noch mehr Eindruck als vorher (V10). Ich glaube er ist zu Ruth hingezogen. Dass er ihr aber sagt, dass sie eine «gute» Frau ist, zeigt, dass nicht alles easy peasy ist. Da gibt es noch einen Schatten in dieser Geschichte. Ich meine, wir kennen die Geschichte, und es ist uns klar, dass aus den beiden ein Paar werden wird. Doch es hätte auch anders kommen können. Ruth war jünger als Boas, darum nennt er sie ja «meine Tochter»[2]. Für eine solche junge Frau wären doch junge Burschen attraktiver (V10). Dass sie sich jetzt aber auf ihn einlässt, ehrt ihn als älteren Mann. Doch bevor er das an die grosse Glocke hängen kann, gibt es da noch einen anderen möglichen Interessenten – auch ein Verwandter und Löser – der näher mit Noomi verwandt ist als er (V12).
Wenn wir ehrlich sind, dann war es eigentlich Noomi und nicht Ruth, die sich für Boas entschieden hat. Noomi hat ja diesen Plan der Annäherung ausgeheckt und Ruth befolgt ja nur ihre Anweisungen. Natürlich weiss Ruth um den anderen Löser. Noomi hat ja im Kapitel vorher gesagt, dass Boas einer der Löser ist (2,20). Wie Boas auf die Ruth da im Tenn reagiert, ist indirekt ein Eingeständnis, dass er in Ruth verliebt ist. Wenn er da zeigt, dass er mit ihrem Annäherungsversuch einverstanden ist, dann ist er auch bereit seine Pflicht wahrzunehmen.
Was da im Tenn läuft, ist eine scheue Geschichte, ohne sexuelle Grenzüberschreitung. Es hätte ein Skandal geben können. Wie reagieren wohl die jungen Kerle, wenn sie von dieser Begegnung mitten in der Nacht hören? Niemand soll davon erfahren, was da im Tenn passiert ist (V14b). Und darum heisst es: «Dann stand sie auf, noch ehe einer den anderen erkennen konnte“ (V14b). Das Ganze lief sehr diskret und sauber. Das Einzige, was man Ruth hätte ankreiden können, war, dass sie den anderen Löser nicht vorher konsultiert hatte. Jetzt, nach dem Geflüster im Tenn, muss etwas laufen, und das kommt dann am nächsten Tag.
Eine Verheissung (V13 + 15–18)
Ruth geht jetzt zurück zu Noomi und mit einer grossen Hoffnung. Boas hat ihr eine noch grössere Verheissung mitgegeben als letztes Mal: »So wahr der Herr lebt, ich werde dich lösen« (V13). Das ist kein leeres Versprechen, da ist etwas dahinter. Der Boas möchte Ruth aus ihrer Not helfen, und damit auch Noomi. Worte können billig sein und darum sind sie nur so gut, wie der Charakter, von dem der dahintersteht. Und da gibt es Grund zur Zuversicht. Boas war ein «ansehnlicher und redlicher Mann» (2,1 ELB), mit genügend Mittel (2,1 NRSV). Sein Charakter haben wir bereits kennengelernt. Auf Boas ist Verlass, und was er verspricht, das wird er halten. Doch er gibt nicht nur ein Versprechen mit Worten, er gibt ihr auch ein Zeichen mit, sowas wie eine Art Verlobungsring. Er sagt Ruth, sie solle "den Überwurf" bringen, den sie trägt, und als sie es hinhält, giesst er "sechs Mass Gerste" hinein, genug, um es zum Überlaufen zu bringen (V15).[3] Das ist nicht das Kleidungsstück, dass sie nach dem Baden und Salben anzog, sondern, das ist ein Überwurf, den die Frauen zum Arbeiten trugen. Und da füllt Boas 6 Mass Gerste rein, das sind so ungefähr ca. 30-40kg Gerste. Das ist ein symbolischer Akt. Er will ihr zeigen, dass er sein Versprechen einhalten wird.
So geht Ruth wieder zurück nachhause, voll mit guten Nachrichten, und Noomi platzt gleich mit ihrer Frage raus: «Wie steht es mit dir, meine Tochter?“ (V16a). Und dann Ruth «berichtete ihr alles, was der Mann für sie getan hatte» (V16b). Und weisst du was? «Diese sechs Mass Gerste hat er mir gegeben, und (denn er hat) gesagt: Du sollst nicht mit leeren Händen zu deiner Schwiegermutter kommen“ (V17). Ruth hat also die Symbolik von den sechs Mass Gersten verstanden. In Kapitel 1 hatte Noomi gesagt, «Reich bin ich gegangen, und mit leeren Händen hat der HERR mich zurückkehren lassen» (1,21). Ruth ist also vom Tenn nicht leer zurückgekommen. Sie füllt die Leere von Noomi. Jetzt schöpft Noomi Hoffnung, und sagt zur Ruth: «Bleib, meine Tochter, bis du weisst, wie die Sache ausgeht. Denn der Mann wird nicht ruhen, es sei denn, er habe die Sache schon heute zu Ende geführt“ (V18). Boas wird also nicht ruhen, bis er für Ruth die Ruhe gefunden hat – genau die Ruhe, die Noomi sich für Ruth gewünscht hatte. Was es jetzt braucht, ist Geduld.
Zwei Wege, um Ruhe zu finden
Da in Kapitel 3 geht es also um die Suche nach Ruhe. Andere Wörter für diese Ruhe wären "Sicherheit" (NRSV) und «Wohlbefinden» (NIV), das Gegenteil von Leere und Entfremdung. Es ist eine Suche nach Angenommensein, oder wie es die Zürcher Bibel übersetzt, nach einem «Zuhause». Wir alle Menschen brauchen das – egal ob Mann oder Frau. Natürlich gibt es auch ungesunde Auswüchse von diesem Verlangen, wenn jemand in einer Beziehung ego-mässig seine Bedürfnisse stillt. Doch da, in einer gesunden Beziehung, ist das etwas ganz Normales. Nun was nehmen wir aus diesem Kapitel 3 mit?
Gelegenheit Packen
Das erste war für mich heraussticht ist die Gelegenheit-packen. Wenn ich solche höre, die fatalistisch sagen, «da können wir nur noch beten», dann denke ich mir, wie wäre die Geschichte von Noomi und Ruth nur mit Beten herausgekommen? Noomi erkennt die Chance, macht einen Plan und geht ein Risiko ein – ohne Grenzüberschreitung.
Wir waren im Frühling in Wales und da stand ich am Fluss Towy. Bei Flut ist das Wasser ca. 6m hoch und bei Ebbe nur 0,5m. Im Mittelalter gab es da eine Fähre, um auf die andere Seite zu kommen. Wenn man die Fähre fuhr aber meistens nur 1x pro Tag, und da musste man bereit sein, sonst musste man wieder bis zum nächsten Tag warten.
Noomi und Ruth erkennen die Chance mit Boas und machen einen Plan, so dass Gott wirken kann. Es gibt manchmal Momente im Leben, die kommen einmal, und wenn wir zögern, und nicht bereit sind, d.h. keinen Plan haben, dann wissen wir nicht, wann die nächste Chance kommt.
Von Noomi und Ruth können wir lernen, dass Gott uns segnen möchte, aber manchmal braucht es auch etwas Mut und Risiko, um uns auf diesen Segen einzulassen.
Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte. Eigentlich ist es nur der Anfang.
Loslassen und Warten
Wenn wir Ruhe und Sicherheit finden wollen, dann muss man auch wissen, wann genug ist und warten dran ist. Mit anderen Worten, wenn etwas aus der Führung Gottes werden soll, dann müssen wir auch immer wieder lernen loszulassen. Sie brauchen jetzt die Gelassenheit zu sagen, «wir haben gemacht, was wir konnten. Jetzt muss ein anderer schauen.» Gäll, Ruhe, Geborgenheit und ein Zuhause sind ein Geschenk, und wir können es nicht allein hinzaubern.
Beim Vorbereiten kam mir in den Sinn, wie ich als kleiner Junge mal eine Eichel aufgelesen habe, und zuhause auf einen Topf mit Erde gelegt habe. Meine Grossmutter hatte mir gesagt, dass daraus eine grosse Eiche werden könnte. Und da habe ich sie hingelegt und die Erde ein bisschen feucht gemacht, und danach kam das grosse Warten. Loslassen und Warten, das ist im Glauben immer wieder eine Kunst. Denn wir können Wässern und Schauen, dass das Klima passts, doch das Wachsen kann einzig und allein Gott schenken.
Da dürfen wir lernen Gott zu vertrauen, dass er das, was er vorbereitet hat, segnen wird, und daraus Frucht entstehen darf.
Und jetzt da am Schluss von Kapitel 3 müssen wir lernen zu warten. Gott möchte uns beschenken, doch das können wir nicht produzieren. Da in Kapitel 3 wirkt Gott auf ganz feine und subtile Art – und das ist der Kern der Guten Nachricht: Der Herr segnet die, die ihn suchen (Jesaja 55,6+7), und er verspricht nicht nur denen Ruhe, wo wie Ruth und Noomi verletzlich und verwundbar sind, nein, er verspricht es auch allen, die sich innerlich leer fühlen. Gott möchte uns Ruhe und Geborgenheit durch einen Erlöser schenken.
Doch manchmal braucht es einen Schritt auf ihn zu. Sind wir bereit, ihn zu suchen und ihm zu glauben, dass er seine Versprechen hält? Jesus sagt in Matthäus 7,7: «Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan.“ Wenn wir ihn bitten und suchen und bei ihm anklopfen, dann möchte er uns Ruhe schenken. Oder, wie es Jesus in Matthäus 11,28 gesagt hat: „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben“ (Matt 11,28 ELB). Wir können Vieles suchen und finden, ohne Gott, aber die wirkliche Ruhe und das wirkliche Zuhause finden wir nur bei Gott– ja, es braucht den Menschen, der aktiv wird und sucht, aber nur Gott kann es schenken. Und schlussendlich finden wir in Christus Ruhe, und das ist immer noch das Beste.
[1] Gemäss Exodus 22,25-27 benutzten arme Leute einen "Mantel" (silmah), um nachts warm zu haben. Daniel I. Block, Judges, Ruth, The New American Commentary. Nashville, Broadman & Holman, 1999, S. 683
[2] 2,8 + 3,10
[3] Je nachdem, welches «Mass» man anwendet (das Wort ist nicht spezifisch). Schätzungen gehen von 30-40kg, oder mehr aus. (Block, Judges, Ruth, S. 698)