Der Unglaube von Thomas – Osterpredigt

Datum: 20. April 2025 | Prediger/in:
Serie: | Bibeltext: Johannes 20,19-31

Wenn wir an Thomas den Jünger von Jesus denken, dann kommt uns der Spitzname «Thomas der Zweifler» in den Sinn. Seit Jahrhunderten trägt Thomas diesen Spitznamen, was zu einem grossen Teil der Geschichte in Johannes 20,19-31 zu verdanken ist. Als seine Mitjünger behaupten, sie hätten nach der Kreuzigung Jesus wieder gesehen, will er es nicht glauben, bevor er nicht persönlich die Narben inspizieren konnte.

Ist das, was Thomas hier verlangt unvernünftig? Vielleicht ist es an der Zeit, den Spitznamen von Thomas ein bisschen genauer anschauen. Vielleicht ist es sogar dran, dass wir seinen Spitznamen aufgeben. Das Bild, das ihr hier vorne seht, ist ein Bild aus dem 16. Jahrhundert, und es trägt den Titel «Der Unglaube von Thomas». Was ist denn Unglaube? Ein Wörterbuch definiert es so, «das Gefühl… nicht in der Lage zu sein, etwas zu glauben.»[1]

Mir hat mal einer erzählt, dass es auch heute noch Auferstehungen gibt, er hätte davon im Internet gelesen. Er sprach dann von Voodoo Ritualien in Südamerika, wo Menschen, die vorher tot waren, wieder ins Leben zurückkamen. Als er mir das erzählte, da war meine Reaktion sofort, «ja, ja, erzähl du mir!» Wie wäre es nun, wenn ich damals ein Jünger von Jesus gewesen wäre, und einer meiner Kollegen kommt zu mir, und sagt nach dem Jesus gekreuzigt wurde, «Hey, wir haben Jesus wieder gesehen! Wirklich!?» Wie ginge es dir? Würdest du sagen, hey, ja genau, das hat jetzt gerade noch gefehlt, oder wäre dann deine Reaktion auch, «Hey, das glaube ich erst, wenn ich es sehe, dass es wirklich derjenige ist, den wir gekreuzigt gesehen haben!» Ich glaube meine Reaktion wäre auch eine von Unglauben.

Das ist der Punkt, wo ich merke, ich glaube, ich wäre auch wie Thomas. So sehr ich mir wünschen würde, dass ich einfach so glauben würde, ich wäre zuerst einmal skeptisch. Ich würde Beweise sehen wollen.
So sehr ich mir wünschen würde, dass ich einfach glauben könnte – ich kenne mich zu gut. Für mich wäre es wichtig, die Beweise zu sehen, und diese dann prüfen zu können. Man kann einen vieles erzählen. In meiner Jugend habe ich mich mal in einem Jungschi-Lager für den Glauben an Jesus entschieden. Doch ihr könnt mir glauben, später in meiner Jugend, vor allem während meinem Wirtschaftsstudium, musste ich vieles überprüfen. Ich hänge doch mein Leben nicht an etwas, das niet- und nagelfest ist?! Mein Glaube muss doch verhalten!

Gäll, wir haben während Corona viel erlebt. Da starben viele Menschen, und wir wurden ganz schön durchgeschüttelt, und da wurde unser Glaube ganz schön getestet. Wie sieht das jetzt aus mit der Auferstehung? Wie viele von denen sind wieder zurückgekommen? Ich mag mich noch erinnern, als wir uns an Ostern 2020 nicht in Person treffen konnten. Diese Zeit hat so viel Leid verursacht und viele Wunden geschaffen.

Auch der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen geführt, wie viele Menschen schrecklich sterben müssen und heute noch jeden Tag sterben. Wir sehen uns nach Frieden und wünschten, sei bald vorbei.

Wir sind auch in unserem Umfeld immer wieder mit dem Tod konfrontiert, und wie viele von uns denken da zuerst an Auferstehung? Wir sehen, was auf dieser Welt läuft, und fühlen uns manchmal hilflos.
Wir wünschten uns so sehr, dass es anders wäre.

Ich glaube, es wäre okay, wenn wir da einen kleinen Beweis möchten, dass Gott mitten in allen diesen Ängsten und Unsicherheiten noch bei uns ist. Und doch möchte wahrscheinlich keiner von uns «Thomas, der Zweifler» genannt werden.

Vielleicht wäre das ein Grund, Thomas von diesem negativen Spitznamen zu erlösen. Und das wäre dann auch gleich eine Gelegenheit, uns von diesem Druck zu befreien. Ich glaube nicht, dass Zweifel und Fragen unnötige Feinde vom Glauben sind, und dass Zweifel und Fragen im Leben von einem «guten Christen» keinen Platz haben. Da kann ich nur sagen, Humbug!

Treuer Thomas

Ich habe mal von einer gelesen, die das wunderbar ausgedrückt hat: «Das Gegenteil von Glauben ist nicht Zweifel, sondern Gewissheit. Gewissheit geht völlig am Punkt vorbei. Es gehört zum Glauben, zu merken, das ist ein Chaos, es gibt eine Leere, und ich habe ein komisches Gefühl – das sollen wir spüren und das dürfen wir wahrnehmen, und dann dürfen wir das dort stehen lassen, bis wieder Licht in unser Leben kommt.»[2] Wenn wir uns das mal genau überlegen, dann merken wir, dass ist ziemlich genau das, was Thomas getan hat.

Als Jesus kommt, und Thomas begegnet, und ihm das gleiche anbot wie den anderen Jüngern, da sagt er spontan, «Mein Herr und mein Gott!» Der Power von dem, was Thomas hier sagt, kann man heute, 2000 Jahre später, leicht übersehen. Denn wir haben heute alles so perfektioniert, dass wir alles wissen und es keine Überraschungen mehr gibt. Wenn man genau anschaut, was Thomas hier sagt, dann merkt man, er braucht hier die Namen von Gott, Jahwe und Elohim, für Jesus.[3] Zweifelt Thomas? Ich glaube nicht. Thomas ist derjenige, der die schönste Aussage im ganzen Johannesevangelium macht. Es ist dieser Thomas, der versteht, und uns zeigt, wie vertrauen und glauben funktioniert.  Ich glaube, wir dürfen Thomas entlasten, und damit auch uns selbst.

Thomas kennen wir hauptsächlich durchs Johannesevangelium. Er wird auch in Matthäus, Markus und Lukas erwähnt, doch die bekannten Geschichten kommen von Johannes. Thomas begegnet uns zum ersten Mal im Kapitel 11,16 von Johannes. Maria und Martha haben Jesus Nachricht übergeben, dass sein Freund Lazarus schwer krank ist. Jesus bleibt dann noch zwei Tage dort, wo er ist, und entscheidet erst nachher nach Judäa zu gehen. Seine Jünger machen sich nun Sorgen: "Rabbi, eben noch wollten die Juden dich steinigen, und du gehst wieder dorthin?" (Joh 11,8)

In typischer Johannes-Art gibt es dann ein Hin und Her, und am Schluss ist nicht mehr wirklich klar, ob Lazarus wirklich tot ist oder ob er einfach schläft, und dann spricht Thomas für die Jünger, als Jesus trotz der gefährlichen Situation zu Lazarus und seinen Schwestern gehen möchte: «Da sagte Thomas, der Didymus genannt wird, zu seinen Mitjüngern: Lasst uns auch hingehen, um mit ihm zu sterben.“ (Joh 11,16) Wir lernen da Thomas als tapferer und treuer Leitertyp unter den Jüngern kennen.

Dann taucht Thomas wieder im Johannes 14 auf, und Jesus sagt dort: «Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wäre es nicht so, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um euch eine Stätte zu bereiten?”
(Joh 14,2) Und wieder ist es Thomas, der mutig ist, und das sagt, was andere denken: «Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir da den Weg kennen?“ (14,5) Thomas ist ehrlich und auch bereit sich verletzlich zu geben: Er kommt nicht draus. Und doch ist er bereit ihm nachzufolgen, weil er herausfinden möchte, wie dieser Weg denn aussieht. Thomas ist ein Treuer!

Jesus antwortet ihm dann: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben... Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Von jetzt an kennt ihr ihn, ihr habt ihn gesehen“ (14,6-7). Sind es vielleicht diese Worte, die Thomas wieder in Erinnerung kommen, als er dem auferstandenen Christus von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht? Sind es diese Worte, die ihn zu seinem erstaunlichen Bekenntnis in Johannes 20 bringen?

Uns wird nicht gesagt, warum Thomas nicht dabei ist, als Jesus den Jüngern hinter den verschlossenen Türen erscheint und ihnen seine Hände und seine Seite zeigt. Doch als sie ihm von diesem unwahrscheinlichen Erlebnis erzählen – und ich meine wirklich unwahrscheinlich, wir brauchen manchmal unsere Worte, ohne gross zu überlegen – da ist Thomas skeptisch, so wie wir es wahrscheinlich auch wären.

Gäll, wir haben die Geschichte der Auferstehung schon so oft gehört, dass sie für uns nicht mehr wirklich speziell ist – Ostern schockiert uns nicht mehr wirklich. Überlegen wir uns mal: Jesus war wirklich tot. Gekreuzigt. Und weisst du was, von einer Kreuzigung erholst du dich nicht so schnell. Wenn dir ein römischer Soldat seine Lanze in die Seite steckt, und dann Blut und Wasser rausfliesst, dann ist es aus die Maus (dann ist es mit uns zu Ende.) So tot wie man nur sein kann. Dann mit Leinentüchern umwickelt und in ein Grab gelegt. Weg. Aus.

Es hat mal einer gesagt, «Es gibt zwei Dinge im Leben, die sicher sind: Der Tod und die Steuern! Wenn uns jetzt Freunde erzählen, dass sie ihren verstorbenen Freunden wieder gesehen haben, dann ist es nichts als natürlich, wenn wir zuerst einmal meinen, «Die sind am Halluzinieren!» Wir haben es nicht gern, wenn man mit unseren Gefühlen spielt - und besonders, wenn wir am Trauern sind. Dann denken wir vielleicht zuerst, «Die müssen wahrscheinlich in eine Therapie, um den Verlust von ihrem guten Freund zu verarbeiten!»

Ich finde es noch erstaunlich, dass Thomas nicht sagt, «Ihr spinnt doch! Hört auf damit.» Er sagt einfach ruhig, dass er das zuerst selbst sehen muss, bevor er’s glaubt. Und eine Woche später passiert genau das. Das Ganze ist sehr ähnlich, wie das erste Mal, wo Jesus den Jüngern erscheint.

Verschlossene Türen, und dann erscheint Jesus plötzlich, der gleiche Gruss von "Friede sei mit euch!" (Ich kann mir vorstellen, dass, wenn Jesus plötzlich in einem Raum neben dir steht, dann brauchen wir Frieden!) Und dann zeigt Jesus wie bei den anderen Jüngern dem Thomas seine Hände und seine Seite, und sagt zu ihm, «Lege deinen Finger in meine Wunde, streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite». Er darf also seine Wunden berühren.

„Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“, sagt Jesus (20,27). Kann mir gut vorstellen, dass Jesus heute vielleicht denkt, „hätte ich doch ein bisschen anders formuliert.“ Viele kennen Thomas nur als den Ungläubigen.

Das Wort "glauben" kommt vom griechischen pisteuo und bedeutet sowohl glauben, dass etwas wahr ist, aber auch vertrauen oder sich auf etwas verlassen. Der Glaube ist hier keine einmalige, absolute Zustimmung, sondern ein Vertrauen in eine Beziehung, die gepflegt wird und wachsen darf.[4] Die Aussage von Thomas, "Mein Herr und mein Gott!" betont einen solchen Glauben und eben, ein Vertrauen in Jesus.

Und heisst es: «Diese hier aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und dadurch, dass ihr glaubt, Leben habt in seinem Namen.“ (20,31) Leben. Das griechische Wort hinter Leben ist „zoe“. Und so schliesst sich der Kreis im Johannesevangelium. Bei der Geburt von Jesus, an Weihnachten, hören wir die Worte: „In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,4-5) Und so sind auch wir, wie Thomas, eingeladen, Jesus, dem auferstandenen Christus zu vertrauen. Er ist das Leben und bringt allen Menschen Licht.

Das ist kurz und bündig die Geschichte von Thomas. Die Tradition überliefert uns dann noch, dass Thomas seinen Glauben weitergab, und zwar bis nach Südindien. Und dort wird er heute noch von Christen in Erinnerung gehalten. Sie nennen sich Thomas Christen.

Der geliebte Thomas

Ich habe mal von einem gelesen, der sagte, dass Thomas der «geliebte Jünger» sein könnte.[5] Ich glaube, dass das verhält nicht. Aber ich finde die Idee noch spannend, «Thomas, der geliebte Jünger». Der Jünger, auf den viele herunterschauen und verachten. Da können wir uns schon fragen, wieviel von unseren eigenen Zweifeln projizieren wir vielleicht auf Thomas? Wie sind wir gegenüber Thomas eingestellt? Ich bin mir bewusst, dass Zweifel in unserer Gemeinde nicht hoch im Kurs sind, oder vielleicht reden wir einfach nicht darüber. Verstehen wir unseren Glauben als ein Vertrauen, dass wir pflegen können und der wachsen darf, anstatt, dass wir immer alles wissen müssen?

Gäll, wenn Leute eine Gemeinde suchen, dann fragen sie oft, was ist euer Glaubensbekenntnis? Heute gibt es ja viele verschiedene Ausrichtungen von Gemeinden, und da wollen wir sicherstellen, dass wir nicht in einer Gemeinde landen, die etwas Falsches lehrt.

Hat der schlechte Ruf von Thomas vielleicht damit zu tun, dass wir in unseren Breitengraden Angst haben, Fragen zu stellen? Sind wir scheu unserem Glauben auf den Grund zu gehen? Warum glauben wir, oder warum glauben wir nicht? Wenn wir Zweifel haben, oder Fragen haben, dann müssen wir nicht Busse tun und wieder zum richtigen Glauben finden. Sondern wir dürfen diesen Fragen nachgehen und daran wachsen und weiterkommen.

Wir könnten die Erzählung von Thomas auch umdrehen, und auf Jesus hören. Er verurteilt Thomas nämlich nicht ein einziges Mal. Nein, er empfiehlt uns sogar, seinem Glauben zu folgen. Nach der Geschichte von Thomas kommt der Vers 31: «Das da ist aufgeschrieben, damit ihr glaubt… und Leben habt in seinem Namen». (Joh 20,31 – vereinfacht) Vielleicht ist es an Ostern 2025 dran, den Spitznamen, den wir uns selbstgegeben haben, oder den man uns angehängt hat, abzulegen,

Was würde passieren, wenn wir die Story umdrehen und auf Jesus zu hören? Er verurteilt Thomas nämlich nicht ein einziges Mal, sondern empfiehlt uns, es so zu machen wie Thomas. Wenn wir die Story von Thomas so lesen, dann können wir es wagen, die negativen Label abzulegen, die wir von uns selbst haben, oder die andere uns angehängt haben. Anstelle von dem können wir Jesus hören, wie er uns sagt «Du bist mein geliebter… Stefan,» oder «Du bist eine geliebte {dein Name}».

In der Auferstehung zu leben, bedeutet nicht, absolute Gewissheit zu haben, immer die richtigen Antworten zu haben und über alle Zweifel erhaben zu sein. Das Leben ist eine Reise, worauf wir lernen dürfen, Jesus zu vertrauen. In ihm finden wir Leben und er ist Licht von allen Menschen.

Wir sind Gottes geliebte Kinder, ein für alle Mal. Die Story von Thomas lädt uns ein, es seinem Beispiel nachzumachen; mutig ehrlich zu sein, voll Vertrauen treu sein und Jesus tapfer nachzufolgen, an dieser Oster und darüber hinaus.

[1] https://dictionary.cambridge.org/dictionary/english/incredulity

[2] Anne Lamott, Plan B: Further Thoughts on Faith. New York, Riverhead, 2005, S. 256f

[3] Willard M. Swartley, John, Believer’s Church Bible Commentary. Harrisonburg, VA; Herald, 2013, S. 464

[4] René Such Schreiner, “Commentary on John 20:19–31,” Working Preacher

[5] See James H. Charlesworth, The Beloved Disciple: Whose Witness Validates the Gospel of John? Valley Forge, PA: Trinity Press International, 1995

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